UPDATE: Die Diskussion kann bei der Facebook Page oder bei Twitter stattfinden, oder per Kommentar (ganz unten), oder einfach per email an gerd@mediafuturist.com - Danke!
Am 1. Juni 2012 habe ich einen Vorschlag für eine neue digitale Musik-Lizenz (die in Konsequenz eine sog. Musik-Flatrate ermöglichen würde) an die Schweizer Regierung und die Musikindustrie veröffentlicht, siehe hier (blog) und hier (Facebook Page) und hier (mein deutsches 'DerFuturist' blog); das PDF ist hier.
Am 6. Juli erhielt ich dann schliesslich eine Replik von SUISA, SIG, IFPI Schweiz, Swissperform, Audio-Vision Schweiz, und von Musikschaffende Schweiz (via Poto Wegener / Swissperform), mit der Überschrift "Musik Flatrate - mehr Schnapsidee als Segen!". Leider gibt es die gesamte Replik wohl nur als PDF - deswegen habe ich den Text unten nochmals angehängt.
Liebe SUISA, SwissPerform, IFPI Schweiz, SIG, Audio-Vision Schweiz und Musikschaffende Schweiz:
Zunächst möchte ich vorausschicken das ich mit eurer (* ihr / euch / eure bezieht sich im nachfolgendem dann übrigens auf alle Unterzeichner der Replik) Stellungnahme wirklich sehr enttäuscht bin - es gibt in eurer Replik nicht einen einzigen positiven Ansatz, nicht ein 'Ja' zu irgendetwas, sondern nur ein grosses 'Nein'. Schade.
Ihr reiht doch tatsächlich wieder uralte Floskeln, Schubladen-Antworten und verstaubte Angst-Phrasen aneinander und stellt dann meine vorgeschlagene Lösung auch noch als Weg in die perfekte und legale Piraterie dar.
Ich muss euch sagen: dies empfinde ich als unsachlich und irreführend. Ich arbeite seit über 10 Jahren und mit 4 Büchern an win-win Lösungen zu diesem Thema, und habe in dieser gesamten Zeit noch nicht so viele Platittüden auf einen Schlag zu hören bekommen. Nehmt ihr eure Arbeit wirklich nicht ernster als das; glaubt ihr wirklich dass dieses überholte Herunterbeten von alten Litaneien irgendwie eine neue Zukunft eröffnen wird?
Ich möchte zunächst folgendes erklären (alles weitere dann hoffentlich einmal persönlich und 'live', siehe mein Vorschlag unten).
Vorab: was ich zwischen euren Zeilen lese, ist leider deprimierend einfach: ihr wollt Kontrolle, über eure Werke und euer geistiges Eigentum und zwar über-alles, jederzeit. Absolut. Dies ist verständlich, ja - realistisch aber leider nicht, und m.E. eine gefährliche Irreführung der Musikschaffenden und der Öffentlichkeit. Es gibt nämlich im digitalen Zeitalter keine Lösung mehr, die perfekte Kontrolle und neue Einnahmen garantieren wird; im Gegenteil - in einer vernetzten, digitalen Gesellschaft wird dieses Verlangen nach absoluter Kontrolle - das in eurer Replik in fast jedem Paragraph durchblickt - eure eigenen Industrien sowie die Urheber und Kreativen zum sicheren Scheitern verurteilen.
Es geht jetzt um Vertrauen, Kollaboration, Interdependence und Engagement. Kontrolle als Monetisierungsinstrument ist tot.
Euer Vorwurf der 'Enteignung der Rechtsinhaber'; ich zitiere: "Eine Musik-Flatrate führt zu einer Teilenteignung der Rechteinhaber und greift in deren Handels- und Gewerbefreiheit ein" ist, gelinde gesagt, absurd. Ich biete euch ein Lösung gegen genau dieses Problem des 'Freeloading' an, und ihr meint ihr würdet damit enteignet? George Orwell würde sich daran ergötzen - frei nach ihm zitiert: "War is peace and peace is war".
Die Radio/ Rundfunklizenz ist euch doch noch bekannt. Dort ist das gleiche passiert: Musik-Hören via Radio wurde vor langer Zeit ein Standard ('disruptive technology'!) und war de-facto gratis, und dies wurde dann nach viel Diskussion über die Gefahren von Gratis-Musik per kollektivem Entscheid mit einer öffentlichen Lizenz vergütet. Eine neue Musikökonomie konnte per Lizenz entstehen, und Radio wurde zu einer entscheidenden Triebfeder der Musikindustrie, und einer wichtigen Einnahmequelle für die Kreativen, Performer und Urheber. Nichts anderes schlage ich mit meiner Musik-Flatrate vor. Das Internet ist heute wie das Radio Anfang des 20. Jahrhunderts.
Liebe Musik-Schaffende und deren Vertreter: Ihr werdet doch de-facto bereits dadurch enteignet (wenn ihr das unbedingt so nennen wollt) dass eure Musik überall und von jedem mit einem Mausklick frei und ohne eure besondere Einwilligung genutzt werden kann. Das Internet (und jetzt das mobile, soziale und cloud-gestützte Netz) ist eine gigantische Kopiermaschine und wir werden diese massive Herausforderung nicht mit simpler Verweigerung oder sogar mit dramatischen Massnahmen wie SOPA, ACTA oder HADOPI stoppen. Wenn ihr absolute Kontrolle über das Internet wollt müsstet ihr ein System wie in China befürworten - und selbst dort funktioniert es nicht wirklich.
Bei über 500 Streaming-Diensten kann ich jeden Song gratis hören, bei Youtube jedes Video per Browser-Plug-in als MP4 oder MP3 herunterladen, oder per Skype jeden MP3 als Anhang versenden. Ihr könntet doch endlich einmal verstehen das der KONSUM und VERTRIEB eurer Werke sowieso schon ohne eure Erlaubnis stattfindet, und das ihr dieses Problem nicht beseitigt indem ihr immer wieder auf eure vor-dem-Internet etablierten Rechte insistiert.
Das stimmt ja nach geltendem Gesetz alles - aber hilft es euch wirklich? Verdient ihr mit eurer Weigerung eigentlich mehr Geld? Hat es euch bis jetzt Erfolg gebracht? Ihr befürchtet ihr dürftet im Falle einer Musik-Flatrate überhaupt nicht mehr über etwaige Verwendungen entscheiden? Moment mal ... könnt ihr das denn jetzt überhaupt noch? Sind das nicht alles universelle Ideen und Ziele auf die wir uns ja alle schön einigen können die aber leider nichts als 'wishful thinking' sind? Wohin führt diese Denkweise?
Ihr sagt "Zudem setzt eine Musik-Flatrate die grundlegenden Prinzipien der freien Marktwirtschaft ausser Kraft, indem sie privates geistiges Eigentum zum öffentlichen Gut erklärt". Wie bitte? Eine neue Nutzung von Copyrights, einen neue Lizenz die ein schwieriges Problem lösen würde, beseitigt die freie Marktwirtschaft? Wäre das nicht wie die bestehende Radio/TV Lizenz, Kabel-TV Lizenz, Kopierlizenz - oder ist da auch die Marktwirtschaft abgeschafft? Ich kann euch hier nicht ganz folgen.
Dann wird es noch haariger: "So könnte die Einführung einer Flatrate dazu führen, dass die Schweiz mit Handelssanktionen belegt und aus verschiedenen internationalen Verträgen ausgeschlossen würde". Dies ist Angstmacherei und schlicht eine Verdrehung der Tatsachen: wenn die Schweiz wirklich das Problem der sog. Internet-Musikpiraterie mit einer neuen Standardlizenz lösen würde, und dabei Einnahmen in der von mir zitierten Grössenordnung generiert werden könnten, wäre doch genau das Gegenteil der Fall - die Schweiz würde als innovativ, fair und proaktiv wahrgenommen, nicht als 'sicherer Platz für Piraten'. Euer Argument ist falsch - wenn ich dieser Logik folgen würde müsste Dänemark mit dem Gratis Musik-Bundle von TDC doch auch bereits als Hafen für den Ausverkauf des geistigen Eigentums verstanden werden.
Würdet ihr eventuell auch relevante und zeitgemässe Lösungen in Betracht zu ziehen? Ihr tut den Urhebern, Musikern und Produzenten mit eurem jetzigen Verhalten m.E. keinen Gefallen - eure Haltung führt zu Verlusten nicht Gewinnen, soviel ist sicher - schauen wir uns dabei nur einmal an wie die Einnahmen von Recorded Music in den letzten Jahren gefallen sind (siehe unten).
Ihr schreibt desweiteren: "Nach Gerd Leonhard ist die digitale Piraterie „Konsequenz eines fortwährenden Versagens der freien Marktwirtschaft und der Politik“. Dem ist entgegenzuhalten, dass die vielgeschmähte "freie Marktwirtschaft" überhaupt nicht versagt, sondern bereits seit Jahren zahlreiche "Flatrate"-Angebote im Musikbereich geschaffen hat (Spotify, Deezer, Juke, Musicload, Music Unlimited, Napster, Rara.com, Simfy etc.)"
Dazu erkläre ich: das könnt ihr doch nicht ernsthaft behaupten - die meisten Startups die sich mit digitaler Musik versucht haben, sind an diesen vollkommen veralteten Geschäftspraktiken und an euren vor-dem-Internet Grundsätzen bankrott gegangen. Lest mal Michael Robertson dazu, und dann schauen wir doch mal einige der Beispiele in eurer Liste an:
- Spotify: gehört zu ca. 35% den Record Labels die sonst keine Lizenz gegeben hätten (wenn das nicht unfaires Marktverhalten - anderweitig auch als Erpressung bezeichnet - ist, dann weiss ich kein besseres Beispiel). Darüber hinaus ist Spotify mit 4-5 Millionen zahlenden Users zwar wesentlich allen anderen Anbietern voraus aber in keiner Weise so relevant wie Youtube etc - und leider auch wegen der hohen Lizenzgebühren früher oder später wohl zum Scheitern verurteilt (ach so, ja, vielleicht übernehmen ja die Labels selber den Service...?). Siehe hierzu auch GigaOm, mein BlogPost 'Spotify will fail' von 2009, und diesen Hypebot Artikel
- Deezer (ursprünglich aus Frankreich) hat kommerziell gesehen ja überhaupt nicht funktioniert bis Orange / France Telecom den Service gekauft und fast gratis integriert hat; also bis de-facto eine gute Geldquelle für Lizenzzahlung gefunden wurde. Das ist ein gutes Beispiel für freie Marktwirtschaft?
- Napster? Soll das ein Witz sein? Das ist doch das beste Paradebeispiel für das nicht-funktionierende Ökosystem in digitaler Musik.
Leider ist ja diese Haltung zum Thema digitale Innovation und Internet auch nichts neues, denn zumindest die IFPI (und deren Schwesterorganisationen also die englische BPI und amerikanische RIAA) und die meisten deren Mitglieder können sich ja bestens in die Reihe der stetigen Nein-Sager und ewigen Innovations-Hemmer einreihen - schaut euch doch mal diesen neuen Report zum Thema 'Copyright and Innovation - The Untold Story' an, hier und hier und hier. Ich selber war ja auch mit einigen Start-Ups (z.B. Sonific) im Bereich der digitalen Musik unterwegs, und kann diese Erfahrungen leider nur bestätigen - über 750 Firmen, die versucht haben der Musikindustrie mit Innovation zu helfen, sind in den letzten 15 Jahren pleite gegangen.
EINLADUNG ZUR ÖFFENTLICHEN DISKUSSION
Ich lade euch hiermit zu einer öffentlichen Diskussion zu diesem Thema ein, an der ich (und ggf. einige andere Gleichgesinnte oder Kommentatoren wie z.B. Tim Renner) teilnehmen würden, und vielleicht jeweils ein Vertreter eurer Organisationen; in einem geeigneten Rahmen und zu einem geeigneten Termin im September 2012.
Ich freue mich auf eure Antwort.
Gerd Leonhard
Basel, 13. Juli 2012
PS: hier noch einige Illustrationen zu obigen Thesen und Argumenten:
REPLIK vom 6. Juli 2012, von

Musik-Flatrate – mehr Schnapsidee als Segen!
- Eine Replik auf „Die Musik-Flatrate - ein Schweizer Modell“ von Gerd Leonhard
Am 1. Juni 2012 lancierte Gerd Leonhard, Autor, Futurist und Musiker in einem offenen Brief die Idee, in der Schweiz das Modell einer Musik-Flatrate einzuführen1. Leonhard richtet sein Anliegen an die Rechtsinhaber, deren Verwertungsgesellschaften SUISA und SWISSPERFORM, an Verbände von Musikschaffenden und Musikproduzenten, an den Bundesrat und dessen Präsidentin Eveline Widmer-Schlumpf. Mit nachfolgender Replik äussern sich die Direktbetroffenen – Urheber, Interpreten, Verleger und Produzenten sowie deren Vertreter – zum Vorschlag von Gerd Leonhard.
Die Idee einer Pauschalgebühr auf digitale kulturelle Inhalte wird seit längerer Zeit diskutiert. Nachdem der Bundesrat im November 2011 in seinem Bericht zum Postulat Savary („Braucht die Schweiz ein Gesetz gegen das illegale Herunterladen von Musik?“2) jeglichen Handlungsbedarf zum Schutz der Kreativindustrie vor der unerlaubten Werknutzung im Internet verneint hat, griffen Nationalrat Balthasar Glättli und Ständerat Luc Recordon das Thema „Kulturflatrate“ auf. In zwei Postulaten fordern sie vom Bundesrat die Erstellung eines Berichts, der aufzeigen soll, ob die anstehenden Probleme der Kreativen mit einer Flatrate gelöst werden können3.
Leonhards Modell der Musik-Flatrate
Gerd Leonhard setzt bei der aktuellen Diskussion an und analysiert in seinem Schreiben die gegenwärtige Situation der Musikbranche und deren Probleme. Er deklariert dabei Ziele „einer realistischen Lösung“, mit denen sich die betroffenen Rechtsinhaber durchaus identifizieren können. So sollen primär Urheber, Künstler und Produzenten „fair, schnell und transparent für ihre Arbeit vergütet“ und Konsumenten mit legalen, fairen und attraktiven Musikangeboten versorgt werden. Zur Umsetzung dieser Ziele skizziert Leonhard ansatzweise das Modell einer „Musik-
Flatrate“ mit folgenden Eckpunkten: Jeder Schweizer Nutzer soll eine Vergütung in Höhe von CHF 1.- pro Woche bezahlen. Im Gegenzug soll ihm das Streamen und Downloaden von „(fast) allen verfügbaren Werken in allen Katalogen (also nationale als auch internationale Werke), mit Ausnahme von Live-Konzerten, Webcasts, speziellen Vorveröffentlichungen, High-Definition Versionen etc.“ erlaubt sein. Die entsprechende Lizenz soll allen interessierten Parteien im Sinne einer öffentlichen Standardlizenz zur Verfügung gestellt werden. Dabei sollen kommerzielle Anbieter (z.B. ISPs, Radiosender, Internetportale) entscheiden, ob sie die wöchentliche Gebühr selbst berappen oder auf den Endkonsumenten überwälzen. Die geschätzten jährlichen Lizenzeinnahmen von CHF 156 Millionen (bei 3 Millionen Nutzern in der Schweiz) sollen zwischen den urheber- und den leistungsschutzrechtlich Berechtigten hälftig geteilt und die Verteilung der Gelder von einer der Schweizerischen Verwertungsgesellschaften wie der SUISA übernommen werden.
Standpunkt der Direktbetroffenen
Die Kulturschaffenden und mit ihr die Kulturwirtschaft und das Ausland haben die Diskussion über die Flatrate bereits geführt. Aus nachfolgend angeführten zahlreichen Gründen sprechen sich die Urheber, die Interpreten und die Musikwirtschaft entschieden gegen eine Musik-Flatrate aus.
Eine Musik-Flatrate führt zu einer Teilenteignung der Rechtsinhaber und greift in deren Handels- und Gewerbefreiheit ein
Mit der Einführung einer Musik-Flatrate würden die ausschliesslichen Rechte der Urheber, Verleger, Interpreten und Produzenten bezüglich der Online-Nutzungen ihrer Werke und Darbietungen zu einem Vergütungsanspruch zurückgestuft. Die Rechtsinhaber würden enteignet, sie könnten über Online-Verwendungen ihrer Werke und Leistungen nicht mehr entscheiden, solche also auch nicht mehr verbieten.
Zudem setzt eine Musik-Flatrate die grundlegenden Prinzipien der freien Marktwirtschaft ausser Kraft, indem sie privates geistiges Eigentum zum öffentlichen Gut erklärt. Hinzu kommt, dass mit einer Flatrate in die Wirtschaftsfreiheit der Rechtsinhaber eingegriffen wird; eine solche Pauschale würde verhindern, dass die Rechtsinhaber den Preis ihrer Leistungen selbst bestimmen können. Alle Güter würden zu einem Einheitspreis verkauft. Dem Künstler der mehr in die Produktion seiner Werke investiert, wäre es verwehrt, seine Mehrinvestitionen durch einen höheren Verkaufspreis wieder einspielen zu können.
Die Musik-Flatrate lässt die Kim Schmitz‘ dieser Welt jubeln und etabliert die Schweiz als Standort für Piraterieanbieter
Gerd Leonhard geht von einer Vorbildfunktion der Schweiz aus, indem ein heimisches Flatratemodell „in ganz Europa oder sogar weltweit Anwendung finden“ dürfte. Hinter diese Aussage ist ein grosses Fragezeichen zu setzen. Denn die Schweiz zeichnet sich bereits heute durch ein äusserst liberales Urheberrechtsgesetz aus; nach geltender Rechtslage ist der Download ab einem P2P-Netzwerk zur privaten Nutzung frei. Im Rahmen einer Flatrate würde auch der Upload legalisiert, um den Konsumenten einen Mehrwert zu verschaffen4. Mit einer solchen, international einmaligen Neuerung würde die Schweiz zu einem sicheren Hafen für Anbieter.
Ausserdem irrt Leonhard, wenn er meint, die Einführung einer Flatrate sei ohne „grundsätzliche Änderung des Urheberrechts“ möglich. Anpassungen des nationalen Rechts wären unumgänglich. Diese hätten zudem die Verletzung verschiedener von der Schweiz unterzeichneter Staatsverträge zur Folge.
So könnte die Einführung einer Flatrate dazu führen, dass die Schweiz mit Handelssanktionen belegt und aus verschiedenen internationalen Verträgen ausgeschlossen würde. Dies dürfte auch der Schweizerischen Exportwirtschaft schaden, die stark auf den Schutz von Marken und Patenten angewiesen ist.
Auch der Bundesrat machte in seiner Stellungnahme zum Postulat Glättli mehr als deutlich, dass eine solche Entwicklung für die Schweiz nicht in Frage kommt: „Der Bundesrat ist gerne bereit, eine Übersicht über mögliche neue Formen der Urheberrechtsentschädigung zusammenzustellen. Eine Entschädigung, die den Austausch nicht lizenzierter Werke im Internet abdeckt, würde allerdings auch das unerlaubte Anbieten (den "Upload") miteinschliessen und damit eine sichere Heimat für illegale Plattformen wie Pirate Bay schaffen. Eine solche Lösung wäre zudem mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen der Schweiz kaum vereinbar. Der Bundesrat geht davon aus, dass dies nicht im Sinne des Urhebers des Postulats und der Mitunterzeichner ist und wird diesem Umstand im Bericht Rechnung tragen.“
Die Musik-Flatrate als Todesstoss für legale Angebote
Nach Gerd Leonhard ist die digitale Piraterie „Konsequenz eines fortwährenden Versagens der freien Marktwirtschaft und der Politik“. Dem ist entgegenzuhalten, dass die vielgeschmähte "freie Marktwirtschaft" überhaupt nicht versagt, sondern bereits seit Jahren zahlreiche "Flatrate"-Angebote im Musikbereich geschaffen hat (Spotify, Deezer, Juke, Musicload, Music Unlimited, Napster, Rara.com, Simfy etc.).
„Bezahlte Downloads über iTunes“ kommen nach Leonhardt als mögliche Option für viele Konsumenten aber nur sehr begrenzt in Frage. In diesem Zusammenhang fragt sich, ob es Aufgabe des Gesetzgebers sein soll ein System einzuführen, mit dem erstens den bereits vorhandenen legalen digitalen Plattformen wie iTunes, Napster oder Spotify die wirtschaftliche Basis entzogen würde, und das zweitens zur Folge hätte, dass weitere Bemühungen der Kultur- und Kreativwirtschaft neue legale Angebote zu entwickeln, unterbleiben würden, da Investitionen zu riskant wären.
Ein Modell mit falschen Einnahmenprognosen
Als Vorteil seines Modells führt Leonhard an: „Die Umsätze der Musikindustrie und der Urheber könnten potentiell verdoppelt werden.“ Er vergleicht die von ihm prognostizierten Einnahmen von CHF 156 Millionen mit den Umsatzzahlen 2011 der Mitglieder des Branchenverbandes der Schweizer Tonträgerproduzenten IFPI Schweiz6. Keine Berücksichtigung bei der Gegenüberstellung finden weitere Einnahmen aus der Verwertung von Musik, so etwa von den Verwertungsgesellschaften SUISA und SWISSPERFORM für die Berechtigten einkassierte Gelder. Der Hinweis auf eine mögliche Verdoppelung der Umsätze ist somit falsch.
Eine freiwillige Standardlizenz die niemand will
Gerd Leonhards Aussagen sind an verschiedener Stelle widersprüchlich. So glaubt er an eine freiwillige Umsetzung seines Modells einer „voluntary collective license“. Dabei würden die Anbieter (ISPs, Telekoms usw.) in den meisten Fällen die Kosten der Musik-Flatrate aus Marketinggründen übernehmen, so dass der Endnutzer nichts bezahlen müsste. Gleichzeitig weist Leonhard darauf hin, der bisherige freie Markt habe bereits ausgiebig bewiesen“, dass es „in 95% aller Fälle nicht zu einer Tarifeinigung zwischen der Musikindustrie und den Telekomfirmen kommt“. Was nun? Tatsache ist, dass sich die von Leonhard genannten „kommerziellen Anbieter“ bereits seit Jahren mit allen Mitteln dagegen wehren, die Rechte von Urhebern, Interpreten und Produzenten angemessen zu entschädigen. So bekämpfen dieselben Firmen seit 2008 die Einführung einer Leerträgerentschädigung für Smartphones. Arglos ist, wer glaubt, diese Firmen seien nun plötzlich auf freiwilliger Basis zur Bezahlung einer Flatrate bereit.
Fazit
Die genannten Hinweise zeigen auf, dass die Einführung einer Musik-Flatrate der Kapitulation der Politik vor der Komplexität des Urheberrechts in der digitalen Welt gleichkäme. Deren Einführung würde zu Jubel bei den Kim Schmitz‘ dieser Welt führen. Künstler, Produzenten, Konsumenten, legale Anbieter, aber auch die Schweiz würden als Verlierer da stehen. Anstelle der Begehung dieses fragwürdigen Weges ist die Politik gehalten, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, um
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- eine nutzungsabhängige Entschädigung von Urhebern und Interpreten zu garantieren;
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- Urhebern und Interpreten den Zugang zu legaler Verwertung zu gewährleisten;
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- staatliche Massnahmen gegen die Piraterie zu ermöglichen und unterstützen,
insbesondere auch durch stärkeres Erfassen der Access und der Hosting Provider .
Unterzeichner
AudioVision Schweiz: Roger Chevallaz, Geschäftsführer
ifpi Schweiz : Lorenz Haas, Geschäftsführer
Musikschaffende Schweiz: Reto Burrell, Präsident
SIG Schweizerische Interpretengenossenschaft: Cla F. Nett, Geschäftsführer SUISA: Andreas Wegelin, Generaldirektor
SWISSPERFORM : Poto Wegener, Direktor
Zürich, 6. Juli 2012